Caroline Hartge

LYRIKERIN, ÜBERSETZERIN, HERAUSGEBERIN

Lissy kehrt heim

Prosa

in:
Michael & Joachim Schönauer (Hrsg.)
Social Beat Slam!
Poetry. Bd. 3:
German Grand SLAM „FREESTYLE versus SLAM“

Lissy kehrt heim [Auszug]

Con mortuis in lingua mortua

Die Sonne hatte seit Wochen nicht mehr geschienen. Draußen auf der Straße zogen die Tage einer nach dem anderen in schwerfälligem Trott vorbei wie Kettensträflinge auf dem Weg zum Hafen. Aber die Dinge gingen, wie sie immer gingen: unaufhörlich ihren Gang. Nach einer zu kurzen Weile waren Lissys Haare auf eine leidliche Länge nachgewachsen, so daß ihr Anblick kein öffentliches Aufsehen mehr erregen würde und man sie guten Gewissens wieder auf die Straße schicken konnte. Sie durfte also die Klinik verlassen. Um sie zu verabschieden, ließ sie der behandelnde Arzt zu sich bringen. Er entließ den stiernackigen Pfleger mit einem knappen Kopfnicken. „Wie fühlen Sie sich?“ wollte er von Lissy wissen. „Danke. Wunderbar.“ antwortete Lissy ihm pflichtbewußt. Sie hielt den Kopf gesenkt wie ein Schulmädchen, das man zum Direktor geschickt hat, weil es seinen Stuhl mit einem wasserfesten Filzstift verziert hat. Weit unter sich sah sie zwei spitzige Knie in verblichenen Jeans, die sie musterte: Seltsam schienen sie ihr, so erbärmlich. So knochig. Noch sitze ich, zumindest hat es so den Anschein. Aber ich weiß nicht genau, ob ich gleich auch noch brav hier sitzen werde. So gerade, so artig. Wie ein manierliches Mädchen. […]

Killroy Media
Asperg, 2001
ISBN 3-931140-13-X
www.killroy-media.de

Mein Jahr mit Joujou, oder: I lust huset

Prosa

in:
Michael & Joachim Schönauer (Hrsg.)
Social Beat Slam! Poetry. Bd. 3:
German Grand SLAM „FREESTYLE versus SLAM“

Mein Jahr mit Joujou, oder: I lust huset [Auszug]

Für Renate Kappes

Nach zwanzig Jahren auf einem Baum zog ich aus, fort aus meiner Erde, aber nicht fort unter meinem Himmel. Meine Mutter hatte schwarzes Haar und mein Vater rote Schuhe, sie gingen beide übers Gras davon, als ich noch klein war.

Es war ein Zimmer mit Fenster zum Hof. Im Hof stand ein Baum, voller weißer Wachslichter im Juni und Myriaden brauner Augen im September (von denen ich später meinem Geliebten ein paar schenkte). Im Zimmer war das Licht immer dämmrig geströmt, kühl und grün. Wenn draußen die blauen Hügel vor der Stadt zweifingertief im Staub standen, bewegte ich mich in meinem Zimmer wie ein bleicher seltsamer Lungenfisch in grünlichem Formaldehyd.

Eine tektonische Faltenverschiebung hatte mein Zimmer zutagegefördert. Wer sagt, Häuser seien tote Materie – unser Haus war ein Wal. Man konnte in seinen Schlund hinabsteigen, in dem die Sedimente früherer Jahre sich in Dunkelheit und Stille unbehelligt ansammelten, die Träume, die Furcht, der versteckte Tod; und bleichsüchtige Pilze kopfüber von den Wiegebalken wuchsen. An einer glühend heißen rostroten Tür konnte man die Schablonenschrift lesen, ein schlafendes Menetekel: `Luftschutzraum, zugelassen für 35 Personen´. Die Tür hatte ein kleines Guckloch wie ein Abfluß in einem Waschbecken, und zwei Hebel, mit denen man sie von außen verrammeln konnte. Ich haßte sie und öffnete sie nie. Ich nahm mir vor, eines Tages jemanden zu entführen und hinter der Eiskellertür einzuschließen. […]

Killroy Media
Asperg, 2001
ISBN 3-931140-13-X
www.killroy-media.de

Immer die huren

Gedicht

in:
Michael & Joachim Schönauer (Hrsg.)
Social Beat Slam! Poetry Band 2:
Slammin‘ BRD – Schluckt die sprechende Pille

Killroy Media
Asperg, 1999
ISBN 3-931140-12-1
www.killroy-media.de

Warten auf den Mann

Prosa

in:
Michael & Joachim Schönauer (Hrsg.)
Social Beat Slam! Poetry. Bd. 2:
Slammin‘ BRD – Schluckt die sprechende Pille

Warten auf den Mann [Auszug]

lamento/litanei für stimmen

he’s never early he’s always late
first thing you gotta learn is you
always gotta wait
Lou Reed, Waiting for the Man

komisch da liegt papa das ist nicht richtig mitten am tag auf dem weg in anziehsachen vor unserm haus was hat er denn ist niemand da papa hat dunkle hosen an und schuhe den dunkelblauen mantel er hat nicht mehr viel haar sein kopf liegt neben dem dicken stein auf dem rasen bist du hingefallen papa da ist kein blut hast du dir wehgetan soll ich dir helfen er sagt nichts hat die augen weit auf er lächelt hat ganz helle haut ganz blaue augen komische augen weit offen wie milch wie der himmel wo er ganz dünn ist eine dünne stelle am himmel komisch wie wenn er nichts sieht er sagt nichts lächelt ganz lieb kommt julchens mama vom einkaufen ach herr kübermann ist der wieder voll laß kind ich mach das geh du man spielen geh schon ach du großer gott kommen sie man kommen sie schöner sonniger tag ganz früh im jahr mit einem leichten wind alles waschen die sachen auf dem dach aufhängen draußen in der milden luft im hellen licht bewegen der geruch von feuchtem sauberen stoff er kommt aufs dach hilft die großen laken aufzuhängen hascht durch das durchsichtige tuch fängt sie in den armen laß mich und lacht auf der treppe sitzen rauchen schläft es sie nickt lehnt den nacken an sein knie die sonne brennt in ihrem gesicht eine feuerzeugflamme ich fahr nachher los kauf vorher noch ein nichts sagen was soll man sagen ist alles längst besprochen ihr bruder ihr mann davon bleibt das herz nicht stehen oder doch […]

Killroy Media
Asperg, 1999
ISBN 3-931140-12-1
www.killroy-media.de

Ich bin das selbige haus

Gedicht

in:
Michael & Joachim Schönauer (Hrsg.)
Social Beat Slam! Poetry. Bd. 2:
Slammin‘ BRD – Schluckt die sprechende Pille

Killroy Media
Asperg, 1999
ISBN 3-931140-12-1
www.killroy-media.de

Anbetung: Rot-wird-Blau

Gedicht

in:
Michael & Joachim Schönauer (Hrsg.)
Social Beat Slam! Poetry

Killroy Media
Asperg, 1997
ISBN 3-931140-11-3
www.killroy-media.de

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