Caroline Hartge

LYRIKERIN, ÜBERSETZERIN, HERAUSGEBERIN

bachab: ganges

we’re all water in this vast, vast ocean
one day we will evaporate together
– yoko ono –

gingganz an den bach hinunter
schön ist die beeke, jung
vom ufer aus gesehen

was schert sie ihr ewiggestriges gemurmel
verflossener bacchanalien –

weniger schön, jung, das fortge
rissensein gebissensein auf steine geschmissen
und gestoßen sein bis wund biss blutig & kaputt gesteinigt sein
im eisigen im reisigen reißenden der riß eis zeit gings ganz
den bach hinunter aber

tröste dich:
bachab ganges

"Lose Wolken"
Gedichte
Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2012
100 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-941126-38-1
Preis: 14,- €

zu beziehen bei:
www.engstler-verlag.de

  • Inhaltsverzeichnis

    inkl. altes testat / am ende ist der schönste moment … / an land verrät mich mein nasser rocksaum / Assia sah / astrokabbale / bachab: ganges / blaßgelbe zitrone I und II / blicke IV / dämmergang / das wasser in dem sie ihr gesicht gewaschen hat / der skateboard-lover / dieser stern lehrt beugen I und II / Dora / Dorette / durch den grund in die stadt bei nacht / ehe mann / ein auto hält vorm haus / eine idee von pflaumen / eines tages ende / familienplaner / fein feiner andreas / gedicht, das und dass nicht/s wa(h)r / glasmacherei: eine grazie / hinter der späteren suttnerin platz / … ich mach jetzt langsam / in die mikwe / jedem zauber wohnt ein ende inne / jeder blaue buchstabe klingt nach zimt / kassiber / kaum nur die sichel I und II / leonines poem I und II / loses gedicht (ohne kopf) / mädchen die pfeifen / nachricht der hummel / nächtliche augen / neues dokument / noch eine idee von pflaumen / pic poesie / Radziwills ziviles rad / reise ans falsche ende der nacht / schlösser von gestern (so viele orte gesehen / wirf einen blanken pfennig / jeder hof ein hain / hier haben sie keine baumschutzordnung / in einem handtuchgarten / wenn es zu arg wird / die wirklichen orte / moloch / glockenläuten / traum von der guten erde) / schummeree / stehen in einer vormaligen unzugänglichkeit / straße nach sesam / texten schleifen / thanatos testament / totenweg / traurige augen / über bahnhöfe II und III / und das rotkehlchen da … / vernissage in der waschkyrie / verträumt tauchen häuser … / vor lauter man age ment / wie hechtsuppe / wo ist trost in dieser welt … / wunder doktor

Brüche des Lebens

Ein neuer Gedichtband von Caroline Hartge

Manches von dem, was derzeit in der deutschen Lyrikszene publiziert wird, kann man nur noch mit einem Schulterzucken abtun. Aufgeblasene Banalitäten, spätpubertäres Befindlichkeitsgequatsche, in Zeilen zerhackte Belesenheitsnachweise. Da ist es wohltuend, dass ab und an Bücher von Autoren auf den Markt kommen, die noch wissen, was ver-dich-ten heißt und die die Fähigkeit besitzen, das Glück und den Verdruss und die Brüche des Lebens und alles dazwischen in eigene Worte und Sätze zu fassen.

Caroline Hartge gehört zu diesen Autoren. Die 1966 in Hannover geborene, in Garbsen lebende Dichterin hat jetzt mit dem Band „lose wolken“ ihr elftes Buch vorgelegt. Es beginnt mit dem kleinen Text „wie ich dichte“. Darin sagte sie, sie reibe bloß die goldenen Zehen der Dichtung, höher komme sie nicht. Die nachfolgenden Seiten aber zeigen, dass sie sehr viel mehr beherrscht.

Wie auch in ihren früheren Büchern geht es in Hartges neuen Gedichten oft um das Fremdsein in dieser Welt („oh vater oh mutter oh wölfe“, aus: „an land verrät“), um das Alleinsein, die zerstobenen Träume, die Suche nach Zugehörigkeit. „so viele orte“ heißt ein Gedicht, das diese Sehnsucht wunderbar beschreibt: „ich glaube / wir lassen etwas ohne wissen zurück / an jedem ort an dem wir ganz & gar gewesen sind / einen abrieb einen teil eine essenz von uns / und das ist der unterschied zwischen einem zuhause / und einer fremde …“ Aber das Gedicht endet mit der Bemerkung, dass es so etwas wie Wegfahren gar nicht wirklich gebe.

Und dieses Quäntchen Zuversicht findet man oft in den Texten von Caroline Hartge, und sei es bloß ausgelöst durch ein Stück frisches Brot und die geträumte Anwesenheit eines anderen in dem Text „wo ist trost“: „wo ist trost in dieser welt / aus veränderungen und äußerlichkeiten // das frische brot im küchenschrank; / und später im traum deine augen: / freundlich, aufmerksam“. Gleichzeitig hat die Lyrikerin keine Angst vor dem schlichten Alltag („die tage sind so elend zugestellt / mit abwasch ungeputzten schuhn“, aus: „eines tages ende“). Und auch nicht vor deutlichen Worten: „auf der letzten stufe scheiße ich / auf eure hohe höflichkeit“ (aus: loses gedicht (ohne kopf)“).

Caroline Hartges Tonfall ist freier geworden im Laufe der Jahre, spielerischer. Ein Gedicht in dem neuen Band heißt: „jedem zauber wohnt ein ende inne“, ein anderes „Radziwills ziviles rad“. Einer der schönsten Texte ist ganz kurz: „…ich mach jetzt“, heißt er und geht so weiter: „langsam; // so milch wie weiß / so blut wie rot / welche farbe hat der – // tuut. beim nächsten zeichen der zeit ist es / zu spät // schluß.“

(Bert Strebe, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 28.12.2012)

Parcours der letzten Dinge

Caroline Hartges Gedichtband "Lose Wolken"

Wie lange wollen wir noch leben, wie lange sind wir noch wach, wie könnte es anders sein, wie besser, wie wahr, wer hat darüber nachgedacht, bis zuletzt, wo ist das Letzte, wer schleicht durchs Haus? Es ist dunkel, und ich denke an Andenken, ich schwenke von Furcht zu Tadel, ich senke, gäbe es kein A in der Reihe der sich beugenden Verben, ich sinke, wie so manches in Caroline Hartges Gedichten: in den Schlaf, auf den Boden, auf den Grund der Tatsachen, in mich hinein, ich sinke, "singen wir", ich sehne ... ich sehe, dass diese Texte von der Sehnsucht handeln. Es ist eine Sehnsucht, die nicht gestillt werden kann, darf, muss. Wer die Sehnsucht hat, geht weiter. Und dass es weitergeht, ist vielleicht der Sinn. Wir wissen nichts. Wir trösten uns.

Um die Suche nach Trost geht es nicht nur in dem Gedicht "WO IST TROST in dieser welt", sie klingt auch in vielen anderen an. Die Texte scheinen dabei gleichzeitig der Versuch einer Tröstung zu sein, "das frische brot im küchenschrank / und später im traum: deine augen / freundlich aufmerksam."

"Lose Wolken", der Titel des Buches, korrespondiert mit dem Titel "loses gedicht (ohne kopf)", das mir nicht aus dem Kopf geht und bei dem ich zunächst an ein Gedicht ohne Titel mit wildem Flattersatz denke, kopflos niedergeschrieben, mit Herz und Verstand, schließlich aber erkenne: ein Wutgedicht und gleichzeitig mehr, ein Gedicht auf der Schneide (zwischen Leben / Tod), ein Gedicht auf der Schneise, ein Gesicht-Gedicht, ohne Kopf sein Gesicht bewahren, ohne Zopf an den "Elfen" vorbei "die haben Bärte, die haben Bärte" ... Ich bin begeistert, bin begeistert, werde recht haben, dass dieses Gedicht nicht nur seine Hinrichtung überlebt (vermutlich ist ihm im Nachhinein der Titel weggenommen worden), sondern weiterlebt und -bebt in 50 oder 100 Jahren, "dass dies geräusch. wenn der kopf in den korb fällt / ins blutgetränkte Stroh" uns daran gemahnt, dass alles Halbe eben doch nicht ganz ist, sondern dass es darauf ankommt, wo die Trennlinie verläuft. (Am Hals ist schlecht.)

Kennt jemand "Rottekuhlen" oder "Göpelwerk"? Das finde ich so bemerkenswert an Hartges Dichtung, die Bezeichnung ›Wortschatz‹ wird greifbar, alte, ungeläufige, regionale Wörter werden ausgegraben, zum Leuchten gebracht, es ist wahrhaftig ein ›Schatz‹, den wir mit der Sprache haben, um komplexe, heilige, verborgene, kaum zu fassende Dinge zu beschreiben. "ein abtun ein abstreifen der bösen dinge / der rinde des rauhen basts ein liegenlassen / in den rottekuhlen" ..., das Dichtwerk ist ein Uhrwerk ist ein Mauer- und Dauerwerk, kein Blendwerk, ein Wendwerk, ein Bergwerk; "das gedicht, das und dass nicht/s wa(h)r" spricht von den Absonderungen des Lebens, vom Altern, vom Kranken, vom Überdruss, vom Sich-Erschöpfen, aber auch vom Aussprechen, "meine sprache alles weg / weg die doppelstämmigkeit der briefe wie besuche ... weg das nicken über den nachbarfirst / aus dem das kind große tiere herauslas / weg die lohenden farben die wohlverpichte dichte / lecke gefäße, grobes wollzeug meine sprache / ungeschützt im wind". Das Altern ist aber nicht nur Beklagen, an anderer Stelle geht es um den Wunsch, endlich und endgültig innezuhalten, sich hinzulegen, zu sinken: auf die "gute erde".

Was tue ich? Geht denn das? Lyrisch über Lyrik schreiben? Es geht (nicht anders), muss so sein, darf’s also noch etwas mehr sein? Wer mag das bestimmen wollen? Vielleicht jemand in den "Schlössern von gestern"? So ist ein Zyklus überschrieben, in dem geprüft wird, was eine Stadt ist, was von Dauer, wo die Briefe herkommen, was einen Ort zu einem Ort macht, zu einem Ort im Herzen und / oder zu einem Ort, von dem man fort muss, irgendwo "gangeln" Glocken, und ich halte diese Wortform schon für die Vergangenheit von ›gängeln‹, im Richard-Wagner-Web ist es ein Synonym für ›schleichen, täppisch gehen‹, doch auch das trauen wir Hartges Glocken zu, zumal sie ja bereits unter ihren Röcken Kinder eingesammelt haben.

"DIE WIRKLICHEN ORTE sind alle / unwirtlich; zu selten / bricht das magische durch // kann nicht gegenwärtig sein hier / bei der hinfälligen hoffnung dem quergebrochenen Kreuz / den schmerzlichen gesichtern / meiner geschwister / die wolken lasten auf unseren schultern der himmel / unsichtbar. kann nicht gegenwärtig sein hier (...)" Ich denke beim Lesen dieser Gedichte an die neuartige, halsbrecherische, faszinierende Sportart Parcours, in der der Traceur eine Strecke auf den Stadtplan zeichnet, die er dann, mit nichts anderem als Körperkraft und Körperbeherrschung, gehend, kletternd, klimmend, springend überwindet. Zwar behauptet die Dichterin nicht hier zu sein, aber man merkt, dass sie all das – real, nicht virtuell – gefühlt, berührt, durchschritten, abgewandert hat, in Echtzeit.

Wer Wolkiges oder Leichtes erwartet hat in Caroline Hartges "Losen Wolken", wird dies höchstens in dem eigentümlichen Sound vorfinden, der eingängig und flüssig komponiert ist. Inhaltlich geht es allerdings um Steiniges, um Hindernisse: um die Grenzen von Leben und Sprache. Doch der Zaun, der auf dem Umschlag abgebildet ist, lässt hoffen, ein Stück ist abgebrochen, er geht nicht ganz rum, da ist eine Lücke, da sind Kreuze, das sind Kreuze, ein Kreuzgang? Ein Geländer, ein Halt? Ein Schutz, eine Begrenzung, eine Begegnung auch, ein Durchbruch, der auf eine helle Ebene führt.

(Christine Kappe, www.fixpoetry vom 23.11.2012)

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